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Gesellschaftsräume


Kunst für verschiedene, spezifische Öffentlichkeiten, Situationen und Räume

Nachdem 2000 die ersten im Rahmen von kunstprojekte_riem entstandenen Werke als "Stadtmarken" die Messestadt zunächst topographisch definierten und im Jahr 2001 mit den realen und fiktiven "Wohnwelten" überwiegend private Innenräume künstlerisch thematisiert wurden, befassen sich in diesem Jahr die Künstlerinnen und Künstler mit dem klassischen "öffentlichen Raum". Allerdings zerfällt die Öffentlichkeit in viele Teilöffentlichkeiten mit unterschiedlichen Interessen und Ansprüchen. Während Öffentlichkeit in der Vorstellung noch immer eine gewisse Geschlossenheit vermittelt, wird Gesellschaft stets als ein Zusammenkommen von Gleichgesinnten und damit als eine Gruppe neben anderen Gruppen verstanden. Für diese Interessen-, Alters-, Berufs- und Kulturgruppen müssen entsprechende Räume wie Treffpunkte, Grünflächen, Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätze und Wohnungen existieren, die den jeweiligen Bedürfnissen und Wünschen genügen.
Der Titel unserer diesjährigen Kunstprojekte lautet daher "Gesellschaftsräume". Neben allgemeinen öffentlichen Räumen, etwa Straßen und Plätzen, die allen Teilen der Messestadt-Gesellschaft und anderen Menschen zugänglich sind, entstehen viele öffentliche Räume, die nur für Teile der Öffentlichkeit interessant sind oder gar nur für diese offen stehen. So sind zum Beispiel Schulen und erst recht Kindergärten öffentliche Einrichtungen und doch nicht öffentlich zugänglich. Neben den Zugangsmöglichkeiten bestimmen aber vor allem Interessen und individuelle Bedürfnisse einzelner Gruppen die Gesellschaftsräume, ihre Art, Gestaltung und Nutzung. Auch die Kunst kann spezifische Formen und Inhalte annehmen und damit für einzelne Gesellschaftsgruppen einen besonderen Stellenwert erlangen.

So stellen wir in diesem Jahr zwei länger vorbereitete Projekte mit jeweils drei Standorten im Stadtraum vor. Im April 2002 startete Felix S. Hubers und Florian Wüsts "re:site projects" - ein Medienprojekt in Zusammenarbeit mit Daniel Burkhardt. Es kombiniert Livestreams der Messestadt mit archivierten Filmausschnitten und interaktiv eingegebenen Texten. Die Künstler begleiten die stetig sich verändernde Situation mit ihren Spielfilmassoziationen und geben auch allen anderen die Möglichkeit, das Gesehene mittels Texteingabe über das Internet zu kommentieren.
Seit Mai leuchten die drei großen Neonzeichen von Renata Stih und Frieder Schnock. "Herz, Hand, Mund" markieren Gewerbegebiet, Wohngebiet und Grünzone und geben mit ihren unterschiedlichen Bildern und Textbotschaften drei Messestadtbereichen unverwechselbare Erkennungszeichen. Gemeinsam ist beiden Projekten der Anspruch, Repräsentations- und Identifikationsmöglichkeiten für die Bewohnerinnen und Bewohner der Messestadt zu schaffen. Huber und Wüst wie auch Stih und Schnock haben für ihre Installationen mehrere Standorte mit unterschiedlichen Nutzern und Betrachtern gewählt. Auch Sissel Tolaas wird mit ihrem neuen Kunstprojekt an drei verschiedenen Orten präsent sein. Allerdings wird ihre Arbeit unsichtbarer wirken: Sie arbeitet mit Ton und Duft und nähert sich damit ganz anderen Eigenschaften der Messestadt. Mit der Standortwahl hofft sie, unterschiedliche Menschengruppen zu erreichen: die Messebesucher auf dem Weg zur Messe, die Spaziergänger auf der Promenade und die zu ihren Fahrzeugen eilenden Bewohner in einer Tiefgarage.


Funktion und Nutzerschaft interessieren viele Künstlerinnen und Künstler gerade bei Arbeiten im öffentlichen Raum stärker als rein ästhetische Fragestellungen. Das wirkt sich auch auf die Umsetzung traditioneller Aufgabenstellungen aus. Mit der Beauftragung des Landschaftsarchitektenbüros Lützow 7 und der renommierten Künstlerin Karin Sander sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Kunst am größten Platz der Messestadt nicht nur einen dekorativen Part einnimmt, sondern an der Gestaltung der Lebenswelt direkt beteiligt ist. Im Falle des Willy-Brandt-Platzes bedeutet dies, dass Offenheit und damit funktionale Tauglichkeit für die Bedürfnisse aller nur denkbaren Nutzergruppen zum Hauptmotiv des Gestalterteams wurde.
Während bei den vorgenannten Projekten noch die breite Öffentlichkeit auf Straßen und Plätzen sowie im virtuellen Raum - zum Teil schon nach Standorten differenziert - angesprochen wird, richten sich zwei weitere Projekte gezielt an einzelne Gruppen der Öffentlichkeit und schaffen für spezifische Interessen ganz eigene Werke. Dabei beziehen sie nicht nur die räumlich gestaltenden Architekten mit ein, sondern beteiligen auch einzelne Gesellschaftsgruppen selbst am Entwicklungsprozess. Mauricio Dias und Walter Riedweg erarbeiten ihr Kunstprojekt für das spätere Förderschulzentrum Ost in mehreren Workshops direkt mit den Schülern und Lehrern der provisorisch bereits in der Messestadt untergebrachten Schule. Am Bau selbst sind sie nicht - wie Sander - konzeptionell beteiligt, doch stehen sie im Dialog mit den planenden Architekten.
Kathrin Böhm, Andreas Lang und Stefan Saffer arbeiten in direktem Auftrag der Nutzer ihrer Kunst. Nachdem sie im vergangenen Jahr im Rahmen der "Wohnwelten" mit Mannschaften der Feuerwehr über Änderungen an und in dem neuen Feuerwehrgebäude der Messestadt diskutiert hatten, konnten sie nun auch den Architekten Reinhard Bauer ins Gespräch einbinden. Gemeinsam wurde die Arbeit "Anprobe" entwickelt, die drei konkrete Veränderungen beinhaltet und jetzt realisiert wird.

Allen Kunstprojekten gemeinsam ist das besondere Augenmerk der Künstlerinnen und Künstler auf die notwendigen Spezifika der neu geschaffenen Räume der Stadt für die Bedürfnisse verschiedener Teile der Öffentlichkeit - egal, ob sie mit Beteiligung von Nutzern oder nur mit Blick auf verschiedene Gesellschaftsgruppen, ob zusammen mit, in Absprache oder unter Hinzuziehung der Architekten durchgeführt werden. Den Künstlerinnen und Künstlern ist mit ihren vielfältigen Erfahrungen bei der Arbeit im öffentlichen Raum längst deutlich geworden, dass es die "eine" Öffentlichkeit nicht gibt und dass selbst der Stadtraum der Messestadt in viele verschiedene Gesellschaftsräume zerfällt.